PODIUMSDISKUSSION IM GOETHEGYMNASIUM

Teil der Veranstaltungsreihe der Stiftung Ettersberg zum 100. Geburtstag des Buchenwaldüberlebenden J. Semprún

Jorge Semprún: Intellektueller, Widerstandskämpfer, Europäer – 16 Jahre brauchte es, bis Semprún es schaffte, seine Erlebnisse vor, während und nach Buchenwald in dem Roman „Die große Reise“ aufzuschreiben. 

Weshalb begann er sich diesem schweren Prozess zu stellen?

„Und vielleicht wäre es mir auch jetzt noch unmöglich, den Tod dieser jüdischen Kinder zu erzählen, ihn in seinen Einzelheiten zu beschwören, wenn ich nicht die vielleicht übertriebene, vielleicht unerfüllbare Hoffnung hätte, dass die heutigen Kinder, dass auch nur ein einziges dieser Kinder, denen sich jetzt die ganze Schwere, die Stille, die Aufgabe ihrer sechszehn Jahre eröffnet, den Tod dieser jüdischen Kinder hört. Vielleicht ist jetzt der Augenblick gekommen, ihre Geschichte zu erzählen, in der Hoffnung auf ein offenes Ohr […].

Vielleicht habe ich aus Stolz bis jetzt noch niemand die Geschichte von den jüdischen Kindern erzählt, die in der Kälte des kältesten Kriegswinters aus Polen kamen, um auf der breiten Straße, die zum Eingang des Lagers führte, unter den düsteren Blicken der Hitleradler zu sterben. Vielleicht aus Stolz. Als ginge diese Geschichte nicht jedermann an, und vor allem nicht jene Kinder, die heute sechzehn Jahre alt sind, als besäße ich das Recht, ja auch nur die Kraft, sie noch länger für mich zu behalten.“

Semprún, Jorge: Die große Reise, 19. Auflage, Berlin 2019, S.165f.

Ausgehend von dem Projekttag, den Schüler*innen der 11. Klassenstufe einige Tage zuvor mit Frau Pamela Castillo-Feuchtmann und Dr. Ulbricht in der Gedenkstätte Buchenwald durchführten, fand am 12. September 2023 eine Podiumsdiskussion in der Aula unseres Gymnasiums statt, in der unser Erinnern vor dem Hintergrund neuer Herausforderungen im Mittelpunkt stand. Eröffnet wurde der Abend durch unsere stellvertretende Schulleiterin StD Yvonne Füzi.

Der Vorsitzende des Vorstandes der Stiftung Ettersberg Prof. Dr. Jörg Ganzenmüller führte thematisch in die Diskussion ein.Im Podium diskutierten Prof. Dr. Jens-Christian Wagner, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, und vier Schüler*innen des eA-Geschichtskurses 11, die auch am Projekttag teilgenommen hatten: Frida Petersen, Jonathan Schönig, Johann Peters und Daniel Hazard. Die Moderation übernahm Dr. Frank König von der EJBW Weimar.

Über eine Reflexion zu den Inhalten des Projekttages hinaus, standen weitere Fragen zur Diskussion. Welche Herausforderung stellt das Versterben von Zeitzeug*innen an die Gedenkstätten und an schulische Bildungsarbeit? Wie gesichert ist eine sogenannte „Zweitzeugenschaft“?

Gemeint sind Personen, die Zeitzeugen noch kannten und direkte Gespräche führen konnten. Prof. Wagner stellte u. a. klar, Zeitzeugenschaft endet mit dem Versterben der Zeitzeugen. Welche Rolle können oder sollen soziale Medien, wie TikTok, spielen? Wo liegen Potentiale, wo Gefahren? Hier betonte Prof. Wagner, man muss und wird sich den neuen Heraus-forderungen stellen. Bezug genommen wurde auf den kürzlich erfolgten Auftritt der Arolsen Archives bei TikTok und YouTube.

Unsere Schüler*innen argumentierten sehr engagiert und brachten ihre Perspektiven ein. Auch das Publikum beteiligte sich mit interessierten Fragen an der Diskussion. Nicht zu unterschätzen ist der Nachhall, der in der Auseinandersetzung mit einem schwierigen Thema erzeugt wurde, sowohl während des Tages in der Gedenkstätte als auch in der Podiumsdiskussion.Zahlreiche Gespräche wurden über die Veranstaltung hinaus weitergeführt, zunächst ungezwungen in verschiedenen Gruppen in der Aula und später, als die Schule verschlossen wurde, auch noch auf dem Schulhof. Kontakte wurden geknüpft und weitere Initiativen begründet.

A. Korinth

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