Am 12.06. um 17 Uhr besuchte der ehemalige Neonazi Axel Reitz zu einem Vortrag das Goethegymnasium. Der heutige Referent beim Verein Extremislos e.V. (Aufklärungsarbeit gegen politischen sowie religiösen Extremismus) schilderte vor den in der Aula versammelten neunten Klassen eindrucksvoll seinen Weg in die Neonazi-Szene: Zum Zwecke einer Präsentation über nicht im Bundestag vertretene Parteien besorgte er im Alter von 13 Jahren Flyer zahlreicher Parteien, um diese seinen Mitschülerinnen und Mitschülern vorzustellen. Als die Lehrerin die Flyer der extrem rechten Parteien NPD, DVU und Die Republikaner zerriss, war seine Neugier geweckt und er suchte Kontakt zur ortsansässigen NPD. Während er sich von Lehrerin und Elternhaus unverstanden und nicht gehört fühlte, fand er hier vermeintlich Interesse an seiner Person und seinen Gedanken.
Heute benennt er dieses vermeintliche Interesse an deiner Person und deinen Sorgen als Hauptverführungsmittel der extremen Gruppierungen. Diese würden die Weltsicht in eine Schwarzweißsicht vereinfachen und Feindbilder aufbauen, die für alles verantwortlich seien. Man selbst bekomme das Gefühl vermittelt allein mit seinen Gesinnungsgenossen auf der richtigen Seite zu stehen, jede Strafe werde als Bestätigung dieser These gesehen. Ein „Jetzt erst recht!“- Gefühl träte ein, das jede Strafe als Bestätigung der These sehe, dass der Staat einen unterdrücke und keine andere Meinung zulasse. Als er im Alter von 14 Jahren beim Aufhängen von Plakaten von einem Linksradikalen von hinten mit einem Messer in den Rücken gestochen wird, fühlt er sich bestärkt in dem Recht, Gewalt auszuüben. Mit 16 Jahren werfen ihn seine Eltern, in ihrer Hilflosigkeit, raus und er übernimmt die Führung der (im Mai 2012 verbotenen) „Kameradschaft Walter Spangenberg“. Nun wird er regelmäßig als „Hitler von Köln“ bezeichnet. Er schildert, wie er immer häufiger Sozialstunden ableisten muss, es folgen kürzere Freiheitsstrafen, erst nur ein Wochenende, dann eine Woche, dann viele Monate auf Bewährung, bis er schließlich zwei Jahre ins Gefängnis geht.
Rückblickend erzählt er, dass er fünfzehn Jahre seines Lebens vergeudet habe. Er habe nach seinem Hauptschulanschluss keine Ausbildung gemacht, habe sich nur mit Gelegenheitsjobs, später Harz IV über Wasser gehalten, habe seine Freunde und in dieser Zeit auch seine Familie verloren. Die vermeintliche Kameradschaft habe er nicht gefunden, ganz im Gegenteil: In extremen Gruppierungen wolle jeder das Sagen haben, jeder der Führer sein, alle seien gewissermaßen gegen alle.
Nach 70 Minuten, in denen alle Zuhörer ihm gebannt gelauscht hatten, folgte eine interessierte Fragerunde, die nach einer knappen Stunde abgebrochen werden musste, um noch ein Video zu sehen, welches noch einmal verdeutlichen sollte, dass oft der Zufall entscheidet, in welche Richtung von Extremismus manche junge Menschen abrutschen. Nach einem erneuten eindringlichen Appell niemals solchen Menschen zu vertrauen, die auf alles einfache Lösungen anbieten, betonte er nochmal, dass junge Menschen auch Fehler machen dürfen und dass alle den Mut haben sollten, sich in diesem Fall um Hilfe an Eltern, Lehrpersonal usw. zu wenden. Das Leben und seine Fragen seien nicht so einfach zu beantworten, wie extreme Gruppierungen behaupten würden.
Nach gut zwei Stunden verließen die Schüler, einige Eltern und Kolleginnen sehr zufrieden und erfüllt mit neuen Sichtweisen die Aula. Bei der Übergabe eines kleinen Erinnerungsgeschenks zeigte er sich beeindruckt über das große Interesse der anwesenden Schüler/innen und ihre fundierten und durchdachten Fragen. An dieser Stelle möchte ich mich auch ganz besonders bei der Friedrich-Naumann-Stiftung bedanken, die diesen Vortrag überhaupt erst möglich gemacht hat!
Text: Dorothea Oppeneiger | Fotos: Dorothea Oppeneiger & Franziska Furcht